Rede zur „Anhörung“
VOR den Türen des Paul-Löbe-Hauses
am 28. November 2023
von Prof. Dr. Monika Barz
Sehr geehrte Abgeordnete,
mit dem sogenannten Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) droht Ihnen, sich an einer historischen Fehlentscheidung zu beteiligen. Es droht, dass das Parlament wider besseres Wissen ein Gesetz zum Schaden von Frauen und Mädchen verabschiedet. Kein Parlament dieser Welt kann das biologische Geschlecht mit einer Abstimmung abschaffen. Anstatt das Transsexuellengesetz (TSG) zu novellieren, haben Sie ein Gesetz geschaffen, das unkontrolliert allen Männern erlaubt, juristisch als Frau zu gelten. Dies verursacht besorgniserregende Folgeschäden für Frauen und Mädchen. Das SBGG ist die falsche Antwort auf dringliche Akzeptanzfragen gegenüber LSBTTIQ-Menschen. Das sage ich als lesbische Frau. Die Wissenschaft beobachtet weltweit mit Sorge in Folge von Self-ID2 Gesetzen eine Zunahme der gesellschaftlichen Antipathie und Gewalt gegenüber LSBTTIQ-Anliegen und eine wachsende Entsolidarisierung mit Frauen- und Lesbenrechten innerhalb der LSBTTIQ-Community.
Sie als Abgeordnete sind Ihrem eigenen Gewissen verpflichtet. Jede und jeder von Ihnen hat seinen eigenen klaren Menschenverstand. Informieren Sie sich umfassend, setzen Sie sich mit den kritischen Stimmen auseinander. Der Verein „Deutscher Frauenrat e.V.“ repräsentiert nicht die kritischen Stimmen von Frauen. Seine existenzielle finanzielle Abhängigkeit vom Familienministerium ist unübersehbar und spürbar. Sie haben in Medien aus der Mitte der Gesellschaft und von vielen unabhängigen Frauenorganisationen Briefe und Stellungnahmen erhalten, die sie ausführlich auf die Folgen des Gesetzes aufmerksam machen. Sie können nicht sagen, Sie hätten es nicht gewusst! Ich beschreibe im Folgenden abstrakt vier zentrale Felder, in denen eine Fehlentscheidung wirksam wird.
1. Rechte von Frauen und Mädchen
Sie verhindern mit diesem Gesetz die Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Auftrags (Art. 3, Abs. 2 GG), die „Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ zu fördern und „auf die Beseitigung bestehender Nachteile“ hinzuwirken. Wie wollen Sie zukünftig verlässliche Daten erheben, wenn der Geschlechtseintrag ‚Frau‘ allen Männern offen steht? (In diesem Moment erreichte Frau Esken (SPD) das Paul Löbe Haus. Ich unterbrach meine Rede und rief ihr meinen letzten Satz nochmals zu: „Frau Esken, wie wollen Sie zuverlässige Daten über Diskriminierung weiterhin erheben? Frau Esken, bitte denken sie darüber nach?“ Dann setzte ich meine Rede fort). Sie verstoßen mit diesem Gesetz gegen völkerrechtliche Vereinbarungen wie CEDAW und Istanbul-Konvention. Sie haben die Verantwortung, die weibliche Hälfte der Bevölkerung vor männlicher Gewalt zu schützen. Mit diesem Gesetz, das den Geschlechtseintrag der Beliebigkeit preisgibt, machen sie sich mitschuldig an der rechtlichen Vertuschung der Gewalt von Männern gegen Frauen. Frauen müssen weiterhin das Recht haben, sich exklusiv mit – als Frauen geborenen Frauen – zu treffen und Männer auszuschließen. Wie sollen sie das zukünftig machen, wenn der Staat leichtfertig jedem Mann ein Papier ausstellt, dass er eine Frau sei. Wir Frauen werden dieses Gesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen.
Wir leben in einem Rechtsstaat, diese Hoffnung geben wir nicht auf.
2. Demokratie
Sie gefährden mit diesem Gesetz unsere Demokratie. Der Irrwitz, Fakten durch Gefühle, Geschlecht durch Geschlechtsidentität zu ersetzen, nutzt einzig und allein rechtsradikalen Strömungen in unserem Land. Die Absurdität des Gesetz zerstört bei vielen Bürgerinnen und Bürgern den Glauben an die Verlässlichkeit, Vernunft und Redlichkeit von Politik in unserer Demokratie. Dies macht sie anfällig für rechtextreme Strömungen, wie die Wahlanalysen zeigen. Durch das Erstarken rechtsradikaler Kräfte gefährden Sie vor allem die weibliche Bevölkerung. Weltweit sehen wir, dass Frauenrechte in Demokratien eher geschützt sind als in autoritär geführten Ländern mit ihren rechtsextremen frauenfeindlichen Ideologien. (Hier breche ich aufgrund extrem kalter Finger meine Rede ab und reiche das Mikrofon weiter.)
3. Finanzen und Krankenkassen
Das Gesetz ist mit hohen Folgekosten verbunden. Es erzeugt unverantwortliche Kosten in den öffentlichen Verwaltungen, den Krankenkassen und Sozialkassen. Eine Rechtsfolgenabschätzung für diese Kosten wurde seitens der Regierung vermieden. Im Gesetz ist nur von enormen Kosteneinsparungen die Rede. Angesichts aktueller Milliardenlöcher im Haushalt wird die faire Transparenz von Folgekosten geplanter Gesetze immer relevanter. Wussten Sie, dass in der Ampelregierung bereits intensiv daran gearbeitet wird, dass die Krankenkassen die Kosten übernehmen sollen? Das geschieht mit Hilfe eines neuen Krankenkassengesetzes. In drei Tagen, am 1. Dezember 2023, findet bereits das erste Fachgespräch der GRÜNEN dazu statt.
4. Jugend
Ihr Gesetz gefährdet die Gesundheit kommender Generationen. Das Gesetz legt den rechtlichen Grundstein für die (Wahn)Vorstellung, es gäbe falsche Körper. Es suggeriert jungen Menschen in der Pubertät, dass ihre Probleme mit der eigenen Geschlechtlichkeit, im ‚falschen‘ Körper begründet wären und durch Hormone, Operationen und lebenslange Medikamente zu lösen seien. Die Zunahme der verwirrten und verunsicherten jungen Menschen, die in den Praxen der Kinder- und Jugendpsychiatrien vorsprechen ist offenkundig. Diese Zahlen sind besorgniserregend. Als Parlament haben sie die internationale Frauenrechtskonvention CEDAW umzusetzen und eine Politik zum Abbau geschlechtsspezifischer Rollenzuschreibungen einzuleiten. Dieses Gesetz bewirkt genau das Gegenteil. Es stellt eher gesunde Körper in Frage anstatt überkommene Geschlechterklischees und öffnet für zukünftige Jugendgenerationen die Türen in Operationssäle und Medikamentenschränke. Ist das ihr Verständnis von Modernität?
5. Abschlussbemerkung zum Begriff „Selbstbestimmung“
‚Selbstbestimmungsgesetz‘ suggeriert Freiheit und Modern-Sein. In Wahrheit ist es ein Rückschritt in eine Zeit magischen Denkens. Es ist Ausdruck eines unkritischen Umgangs mit menschlichen Machbarkeitsphantasien. In den Sozialwissenschaften wird es als ‚Falle der Moderne‘ bezeichnet, wenn versucht wird, den Zugriff auf die Welt stets zu vergrößern und die Grenzen des Verfügbaren zu verschieben. Die Behauptung, es sei ein Menschenrecht, die eigene Geschlechtszugehörigkeit selbst bestimmen zu können ist eine Lüge und naturwissenschaftlicher Unfug. Sie entspringt bestenfalls patriarchaler Wunschvorstellungen. Menschen können nicht bestimmen, welchem Geschlecht sie angehören, aber sie können selbst bestimmen, WIE sie, die ihrem Geschlecht zugeschriebene Rolle, ausgestalten. Dies wird fachlich Geschlechtsrollenidentität (genderidentity) genannt. Im SBGG wird daraus kurzerhand eine ‚Geschlechtsidentität‘, die ohne je definiert zu sein, rechtlich zur Grundlage des Personenstandes gemacht wird. Dieser Vorgang steht im Widerspruch zur bisherigen Rechtspraxis, bei der Personenstand und Geschlechtszugehörigkeit übereinstimmen. Gemäß des SBGG entscheidet zukünftig – vertuscht als Menschenrecht – der Mensch selbst über seine Geschlechtszugehörigkeit. Gemäß dieses Gesetzes definieren Männer ganz ‚selbstbestimmt‘ und vom Staat legitimiert, dass sie Frauen seien. Damit begeht das Parlament eine verantwortungslose Fehlentscheidung und liefert die weibliche Bevölkerung der Definitionsmacht von Männern aus. Männer können in Frauenräume eindringen, ohne dass Frauen sich wehren können. Zwar können sich umgekehrt auch Frauen zu Männern erklären, ihr Eindringen in Männerräume stellt – wie im Sport ganz offensichtlich – jedoch keine vergleichbare Gefahr für Männer da. Die sachliche Kritik am SBGG als ‚Transphobie‘ zu diffamieren, zeugt vom fehlenden Verständnis der rechtlichen Bedeutung einer Personenstandsfeststellung und der Grenzen des Begriffs ‚Selbstbestimmung‘. Dieses Gesetz ist unverantwortlich und abzulehnen. Nur durch eine Ablehnung wird ein notwendiger Neustart für die Novellierung des Transsexuellengesetzes ermöglicht.